Medikamente
· Knochenaufbaustimulierende Medikamente
Fluoride:
- Was sind Fluoride?
- Wirkungen auf den Knochen
- Nebenwirkungen und Einnahmevorschriften
- Welche Fluoride gibt es?
- Kritische Wertung
Fluor ist ein Halogen und damit chemisch sehr verwandt mit Chlor, Jod und Brom. Fluoride sind das Salz der Fluorwasserstoffsäure und damit chemisch analog unserem Speisesalz (Natriumchlorid, einem Salz der Chlorwaserstoffsäure oder der Salzsäure). Fluoride galten lange Zeit als das Medikament zur Behandlung der Osteoporose schlechthin (sicher auch vor allem in Ermangelung anderer wirksamer Medikamente) und als das klassische Medikament zur Stimulation des Knochenaufbaus. Ihr Einsatz bei der Therapie der Osteoporose geht bis zum Anfang der 60`er Jahre zurück, und zwar aufgrund von Beobachtungen, dass einerseits Fluorid-Vergiftungen auch zu einer erheblichen Verdichtung des Knochens (mit allerdings erhöhter Brüchigkeit) führen, und dass andererseits in Regionen mit fluorhaltigem Trinkwasser weniger oft Oberschenkelhalsbrüche aufzutreten schienen. Seit Anfang der 90`er Jahre sind die Fluoride, basierend auf den Ergebnissen einer amerikanischen Studie (Riggs B., 1990), bei der unter Behandlung mit Fluoriden trotz deutlich angestiegener Knochendichte sogar eine höhere Knochenbruchrate als bei den unbehandelten Kontrollpatienten festgestellt wurde), in der Behandlung der Osteoporose jedoch zunehmend umstritten. Nachfolgende Studien konnten dies nur zum Teil entkräften (Pak und Mitarbeiter, 1997), andere (Meunier und Mitarbeiter, 1998) erhärteten hingegen die Ergebnisse der Riggs-Studie. Seitdem ist die Bedeutung der Fluoride zunehmend im Schwinden begriffen, sie werden jedoch nach wie vor zur Behandlung der Osteoporose eingesetzt.
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Wirkungen auf den Knochen
Fluoride haben grundsätzlich zwei – in gewisser Weise gegensinnige – Effekte auf den Knochen. Zum einen stimulieren sie die Bildung der Osteoblasten aus Vorläuferzellen im Knochenmark. Die Osteoblasten sind, wie im Abschnitt Remodeling genauer beschrieben, die für den Knochenaufbau verantwortlichen Zellen. Das machte die Fluoridtherapie auch so interessant, da es bis vor kurzem keine vergleichbare anabol (knochenaufbauend) wirksame Substanz gab (mit dem Parathormon steht uns mittlerweile aber ein neues anabol wirksames Medikament zur Verfügung). Die zweite Fluoridwirkung am Knochen ist allerdings ein unerwünschter, toxischer (“giftiger”) Effekt. Fluor wird nämlich in die Kristallstruktur des Knochens mit eingebaut und führt hier zu sog. Mineralisationsdefekten, was den Knochen zwar dichter, dafür aber weniger beanspruchbar und damit brüchiger werden lässt. Fluor tritt bei der Mineralisation quasi in Konkurrenz zum Calcium – je mehr Fluoridionen und je weniger Calciumionen vorhanden sind, um so höher wird der Anteil von Fluor im entstehenden Knochen. Die Fluoridbehandlung ist also ein delikater Balanceakt zwischen ausreichender Aktivierung der Osteoblasten einerseits (erwünscht) und möglichst geringem Fluoreinbau in den Knochen (unerwünscht) andererseits. Allerdings waren Zunahmen der Knochendichte wie unter Fluoridbehandlung bis zur Einführung des Parathormons mit keinem anderen Medikament erreicht worden und betragen bis zu 10% pro Jahr! Bezüglich des eigentlichen Behandlungsziels, nämlich der Reduktion des Knochenbruchrisikos, sind die Ergebnisse der vorliegenden Studien jedoch widersprüchlich. Die Fluoridtherapie zeigt damit auch sehr anschaulich, dass die Knochendichtemessung allein keinesfalls zur Diagnose und zur Beurteilung des Behandlungsverlaufes ausreicht!
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Nebenwirkungen und Einnahmevorschriften
Die hauptsächliche Nebenwirkung der Fluoride sind der unerwünschte Einbau in den Knochen, der zu überschießender Knochenverdichtung (Fluorose) und nicht selten auch zu Schmerzen (z.B. typischerweise in den Sprunggelenken) führen kann. Dies trifft vor allem bei länger andauernder, höher dosierter und unkontrollierter Behandlung zu. Diese Gefahr kann zumindest deutlich vermindert werden, wenn darauf geachtet wird, dass die im Blut zirkulierende Fluormenge unter Therapie in einem gewissen Bereich bleibt (“therapeutisches Fenster”), in etwa 90-190 ng/ml (Nanogramm pro Milliliter). Dies kann nur durch regelmäßige Blutkontrollen einigermaßen gewährleistet werden. Außerdem sollten hohe Blutkonzentrationen von Fluor kurz nach der Einnahme des Medikamentes möglichst vermieden werden. Dies ist teilweise mit sog. “Slow-release”-Präparaten möglich, also Medikamente, die aufgrund ihrer Verkapselung nicht auf einmal freigesetzt werden, sondern den Wirkstoff kontinuierlich in geringer Dosierung abgeben. Günstig scheint es auch zu sein, wenn die Behandlung nicht permanent durchgeführt wird, sondern immer wieder Therapiepausen eingehalten werden (sog. intermittierende Therapie). Besonders wichtig ist es, darauf zu achten, dass während der Fluoridbehandlung ausreichend Calcium und Vitamin D zugeführt werden. Calcium dient dazu, den “konkurrierenden” Fluoreinbau in den Knochen möglichst gering zu halten. Vitamin D – oder in diesem Fall sogar noch besser Vitamin-D-Metabolite – sollen parallel zur anabolen Wirkung des Fluorids eine erhöhte Knochenabbaurate über eine Senkung der Blutspiegel des Parathormons (sekundärer Hyperparathyreoidismus) absenken, da ansonsten noch mehr Fluor in den Knochen gelangen könnte. Viele Fluorid-Medikamente werden deshalb in Form von Kombinationspräparaten aus Fluor und Calcium bzw. Fluor, Calcium und Vitamin D angeboten.
Die Dosierung sollte bei einem retardierten Fluorid (Slow-release-Fluorid) in etwa 50mg tgl. (2x25mg) betragen, bei Verwendung als Fluorophosphat sollte die Dosierung insgesamt 150 mg täglich nicht überschreiten. Wichtig sind regelmäßige Kontrollen (Blutspiegel, Röntgenaufnahmen der Brustwirbelsäule – BWS) zum Ausschluss einer Fluorose.
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Welche Fluoride gibt es?
Fluoride gibt es entweder als Natriumfluorid (NaF) wie Fluoros®, Ospur F25®, Ossin®, NaFril®, Strafortin® oder Ossiplex retard®, bei denen es sich meist um eben diese Retardtabletten (Slow-release-Präparate) handelt, oder als sog. Fluorophosphate wie Tridin®, Tridin forte®, Fluoril®. Viele davon sind bereits mit Calcium kombiniert, weshalb nicht wenige Patienten, welche ein solches Medikament einnehmen, glauben, es handle sich dabei nur um ein einfaches Calciumpräparat. Bei dem Präparat Strafortin® handelt es sich um eine Kombination aus einem sog. Slow-release-Fluorid, Calcium und Vitamin D.
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Kritische Wertung
Aufgrund der widersprüchlichen Ergebnisse bezüglich der Wirkung auf das Knochenbruchrisiko, gehören Fluoride heute nicht mehr zu den Medikamenten der ersten Wahl. Wenn sie trotzdem zur Therapie der Osteoporose eingesetzt werden, sollten wenigstens die oben angeführten wichtigen Aspekte bei der Fluoridbehandlung berücksichtigt werden, was in der täglichen Praxis leider viel zu selten geschieht. Insbesondere die wichtigen Blutkontrollen (Fluorspiegel im Serum) sind eher die Ausnahme – wahrscheinlich aus Kostengründen. Dass viele Patienten die Behandlung mit Fluoriden gar nicht als solche wahrnehmen, sondern aufgrund des in den Kombinationspräparaten enthaltenen Calciums (z.B. unter Tridin® oder Fluoril) der Meinung sind, sie würden nur Calcium einnehmen, spricht ebenfalls nicht unbedingt für die Qualität unserer medizinische Versorgung. Anscheinend fehlt hier die Zeit für eine ausführliche Patientenaufklärung. Aufgrund des Wirkmechanismus als anabole Substanz sollten Fluoride – wenn sie denn schon gegeben werden – vor allem bei noch nicht allzu fortgeschrittener Osteoporose verwendet werden. Entgegen der früher häufig geübten Praxis (in der frühpostmenopausalen Phase wurden häufig antiresorptive Substanzen wie Östrogene, im fortgeschritteneren Alter dann Fluoride gegeben) ist diese schematische Betrachtungsweise heute nicht mehr aufrecht zu erhalten (wie übrigens die meisten Schemata, da diese doch häufig zu unkritischen und mehr gewohnheitsmäßigen Handlungsweisen führen). Wenn bei einer fortgeschrittenen Osteoporose naturgemäß schon eine ausgeprägte Zerstörung der knöchernen Mikroarchitektur besteht, ist erstens kaum noch ein effektiver Knochenanbau möglich. Zweitens ist dann auch meist von einer hohen Abbaurate auszugehen (high-turnover Osteoporose), so dass ohnehin die Senkung der Knochenabbaurate mit einem antiresorptiv wirksamen Medikament im Vordergrund stehen sollte. Drittens ist aufgrund des massiv höheren Knochenbruchrisikos bei der fortgeschrittenen Osteoporose die Senkung des Knochenbruchrisikos das eigentliche Therapieziel und hierfür ist für Medikamente wie Aminobisphosphonate oder Raloxifen eine eindeutig bessere und sichere Wirksamkeit nachgewiesen. Eine gute Übersicht zum Thema Fluoride und Osteoporose ist in dem Artikel “Fluoridtherapie bei der Osteoporose” von Hüfner und Siggelkow aus der medizinischen Wochenschrift von 1998 unter www.thieme.de/dmw/inhalt/dmw1998/dmw9822/beitrag/epi474.htm zu finden.