Postmenopausale Osteoporose und Altersosteoporose
Häufig wird die Osteoporose eingeteilt in die sog. postmenopausale Osteoporose und in die sog. Altersosteoporose oder auch senile Osteoporose. Die postmenopausale Osteoporose betrifft nach dieser Klassifikation Frauen nach der Menopause bis zum Alter von 65 Jahren, über 65 Jahre spricht man danach von einer Altersosteoporose. Diese Unterteilung ist allerdings sehr willkürlich und letztlich durch keine unmittelbaren logischen oder ursächlichen Zusammenhänge gerechtfertigt. So ist es nicht einzusehen, warum bei einer Frau im Alter von beispielsweise 64 ½ Jahren die Diagnose „postmenopausale Osteoporose“ ein halbes Jahr später mit ihrem 65. Geburtstag plötzlich in die Diagnose „Altersosteoporose“ umgewandelt werden sollte. Deshalb verwenden wir diese Klassifikation nicht. Ursache der Osteoporose ist schließlich immer ein krankhaft erhöhter Knochenabbau, wobei die Ursachen für diesen erhöhten Knochenabbau wiederum sehr mannigfaltig sind. Je nach Höhe der ursprünglich erreichten Gipfelknochenmasse und abhängig von der Geschwindigkeit des Knochenabbaus dauert es dann natürlich auch unterschiedlich lange, bis die Grenze zunächst zur Osteopenie und später zur Osteoporose erreicht bzw. unterschritten wird.
Die Entwicklung einer Osteoporose ist also immer ein lang andauernder Prozess, der durch zahlreiche Ursachen und Risikofaktoren gefördert wird, wobei der Östrogenmangel der Frau nach der Menopause eben nur eine Ursache unter vielen ist (und eigentlich die einzige logische Ursache, welche die Bezeichnung „postmenopausale Osteoporose“ logisch rechtfertigen könnte). Die Ursachen und Risikofaktoren, die schließlich zu einer Osteoporose führen oder nicht, sind nämlich für die „postmenopausale Osteoporose“ und die „Altersosteoporose“ identisch. Deshalb ist es nicht einzusehen, warum mit dieser Klassifikation willkürlich und nur abhängig vom Alter eine Unterscheidung in eine postmenopausale und senile Osteoporose getroffen werden sollte! Außerdem ist ja auch die sog. Altersosteoporose nach dem 65. Lebensjahr bei der Frau immer auch zugleich eine postmenopausale Osteoporose (die Menopause tritt in der Regel um das 50. Lebensjahr auf, so dass sich jede Frau nach dem 65. Lebensjahr natürlich immer auch im postmenopausalen Lebensabschnitt befindet).
Typ-I-Osteoporose und Typ-II-Osteoporose
Treffender erscheint hier schon die Unterscheidung zwischen der sog. Typ-I-Osteoporose und der sog. Typ-II-Osteoporose. Diese Differenzierung bezieht sich auf die beiden verschiedenen Knochenbausteine: dem „trabekulären Knochen“ und dem „kortikalen Knochen“ oder „kompakten Knochen“, die im Hauptpunkt „Osteoporose – Ursachen“ genauer erklärt sind. Da der trabekuläre Knochen (Bälkchenknochen) einen viel schnelleren Stoffwechsel (Remodeling) aufweist als der deutlich trägere kompakte Knochen, betrifft der osteoporotische Knochenabbau in der Regel zunächst den trabekulären Knochen viel stärker als den kompakten Knochen. Deshalb ist die Knochendichte bei der Typ-I-Osteoporose anfangs auch nur im trabekulären Knochen erniedrigt, während der kompakte Knochen noch eine völlig normale Knochendichte aufweisen kann. Erst nach länger andauerndem krankhaft erhöhten Knochenabbau wird auch der kompakte Knochen zunehmend von diesem Abbau betroffen, so dass schließlich die Knochendichten in beiden Knochenbausteinen erniedrigt sind. Insofern entspricht die postmenopausale Osteoporose in etwa der Typ-I-Osteoporose und die Altersosteoporose der Typ-II-Osteoporose. Diese Unterscheidung scheint sinnvoller, da sie sich mehr an sog. pathophysiologischen Kriterien orientiert, also an stoffwechsel-ursächlichen Bedingungen.
Allerdings setzt diese Differenzierung für die Diagnose mittels Knochendichtemessung ein Verfahren voraus, welches diese beiden Knochenbausteine auch getrennt (selektiv) erfassen kann, was aber wiederum nur mit computertomographischen Verfahren möglich ist (siehe auch Überpunkt „Diagnose – Knochendichtemessung) und z.B. nicht mit Ultraschall oder der DXA-Methode. Die DXA-Methode, die ja immer noch oft als „Goldstandard“ bezeichnet wird, hat zwar den Vorteil, dass an den Knochen gemessen werden kann, an denen die folgenschwersten Brüche auftreten, also an der Wirbelsäule und am Oberschenkelhals; sie kann aber nicht die beiden Knochenbausteine und damit auch nicht die Typ-I-Osteoporose von der Typ-II-Osteoporose gegeneinander abgrenzen. Dieser Nachteil wird etwas wettgemacht durch die Tatsache, dass der Wirbelkörper mehrheitlich aus trabekulären Knochen und der Oberschenkelhals mehrheitlich aus kompakten Knochen besteht, allerdings können mit computertomographischen Knochendichtemessungen eben die trabekulären und kompakten Knochendichten direkt gemessen werden. Und da die Osteoporose eine systemische Knochenerkrankung ist und der osteoporotische Knochenabbau den trabekulären und kompakten Knochen im gesamten Skelett mehr oder weniger ähnlich stark betrifft, bringt die Messung an der Wirbelsäule bzw. am Oberschenkelhals nicht unbedingt einen so gewichtigen Vorteil, der die Bezeichnung „Goldstandard“ rechtfertigt.
High-turnover und Low-turnover-Osteoporose (Fast- und Slow-Loser-Konzept)
Am überzeugendsten bezüglich der Einteilung der Osteoporose ist unserer Überzeugung nach die Klassifikation in eine sog. High-turnover-Osteoporose mit schnellem Knochenabbau (Fast-Loser-Situation) und in eine sog. Low-turnover-Osteoporose (Slow-Loser-Situation) mit geringer Knochenabbaurate. Diese Klassifikation orientiert sich an der Geschwindigkeit der zugrundeliegenden Knochenabbaurate (Dynamik) im Rahmen des sog. Remodelings. Halten sich Knochenauf- und Knochenabbau die Waage (Abb. unten links), ist das Remodeling im Gleichgewicht, d.h. es wird genau so viel Knochen aufgebaut, wie vorher abgebaut wurde. Ist die Knochenabbaurate über das normale Maß erhöht und übersteigt die Rate des Knochenaufbaus (Abb. unten rechts) oder ist die Rate des knöchernen Wiederaufbaus erniedrigt (Abb. unten Mitte), resultiert in der Summe aus beiden Situationen immer ein erhöhter Knochenmasseverlust. Treffen gar beide Faktoren zusammen (also eine hohe Abbaurate und eine niedrige Aufbaurate), ist die Knochenabbaurate weit über das normale Maß hinaus erhöht und wir haben eine typische „Fast-Loser-Situation“ vor uns.
Dies zieht aber entscheidende Konsequenzen für die Therapie nach sich, denn im Falle einer erhöhten Knochenabbaurate müssen wir versuchen, diesen erhöhten Knochenabbau zu bremsen oder noch besser ganz zu stoppen, während wir im Fall einer ausgeglichenen Stoffwechselsituation eher versuchen könnten, die Knochenaufbaurate zu erhöhten. Demzufolge unterscheiden wir zwischen Medikamenten, welche entweder eine erhöhte Knochenabbaurate bremsen („Antiresorptiva“) und Medikamenten, welche eher die Knochenaufbaurate stimulieren. Diese Unterscheidung der Osteoporose macht sowohl Sinn bezüglich der zugrundeliegenden Pathophysiologie (stoffwechsel-ursächlich) als auch bezüglich der daraus folgenden Behandlungsstrategien (siehe Unterpunkt „Fast- und Slow-Loser-Konzept“ unter Knochendichtemessung im Überpunkt Diagnose). Wir halten dieses Konzept für wesentlich praktischer, sowohl was die Indikation (Notwendigkeit) einer Therapie (auch bei noch nicht deutlich erniedrigter Knochendichte) als auch die Wahl der Therapie (knochenabbaubremsend oder knochenaufbaustimulierend) betrifft. Ist die Geschwindigkeit des zugrundeliegenden Knochenabbaus hoch, müssen wir diese erhöhte Knochenabbaurate in erster Linie bremsen (ebenso wie Sie bei einem auf einer abschüssigen Straße geparkten Auto die Handbremse anziehen). Ist die Knochenabbaurate nicht erhöht, jedoch die Knochendichte schon deutlich erniedrigt (stabiles Knochenumsatzverhältnis auf allerdings niedrigem Niveau), sollten wir in erster Linie versuchen, die Knochenaufbaurate zu erhöhen (vergleichbar in etwa der Situation beim Auto, wenn die Batterie leer ist und wir das Auto zum Starten anschieben müssen).
Manifeste und präklinische Osteoporose
Eine ganz entscheidende Voraussetzung dafür, ob eine Osteoporose behandlungsbedürftig ist oder nicht, ist die Tatsache, ob es sich um eine sog. manifeste Osteoporose oder um ein sog. präklinische Osteoporose handelt. Diese Differenzierung gründet sich vor allem auf möglicherweise schon vorhandene Folgen der Osteoporose, deren gravierendste ja der osteoporotische Knochenbruch und hier ganz besonders der Wirbelbruch oder der Oberschenkelhalsbruch ist. Wird die Osteoporose nur aufgrund einer erniedrigten Knochendichte definiert (WHO-Definition), ohne dass bereits osteoporotische Knochenbrüche aufgetreten sind, sprechen wir von einer präklinischen Osteoporose, also einer Art „latenten“ Osteoporose ohne bereits aufgetretene Folgen. Diese niedrige Knochendichte kann ja sowohl Konsequenz einer ursprünglich bereits unterdurchschnittlich ausgebildeten Gipfelknochenmasse (mit noch normaler Knochenstruktur) als auch Folge eines bereits vorangegangenen Knochenabbaus (bei erhöhter Knochenabaurate) sein.
Die Diagnose einer präklinischen Osteoporose bezeichnet also in erster Linie ein erhöhtes Knochenbruchrisiko aufgrund einer erniedrigten Knochendichte. Ob die präklinische Osteoporose behandlungsbedürftig ist, hängt dann vor allem auch davon ab, ob die Knochenabbaurate erhöht ist oder nicht. Ob die Knochenabbaurate erhöht ist, kann entweder mit einer zeitlich nachfolgenden Kontrollmessung der Knochendichte festgestellt werden (dann ist die gemessene Knochendichte bei der zweiten Knochendichtemessung deutlich niedriger als bei der Erstmessung) oder mittels einer Laboruntersuchung (wenn die sog. Knochenabbaumarker erhöht sind). Bei einer High-turnover-Osteoporose mit erhöhter Knochenabbaurate entstehen vermehrt Knochenabbauprodukte, die man im Blut oder im Urin messen kann.
Der beschleunigt abgebaute Knochen löst sich ja nicht „in Luft auf“, sondern wird in kleinere Bausteine „zerlegt“, die im Blut (z.B. Beta-Crosslaps) transportiert und mit dem Urin ausgeschieden werden (Desoxipyridinolin). Dementsprechend sind diese vermehrt auftretenden Abbauprodukte auch im Blut und im Urin nachweisbar (hier sind jedoch gewisse Bedingungen bezüglich des Zeitpunktes der Blutentnahme bzw. der Urinsammlung und bezüglich der Weiterverarbeitung der Proben notwendig, die exakt eingehalten werden müssen, um genaue Ergebnisse zu erhalten). Die Diagnose manifeste Osteoporose bezeichnet ein Krankheitsbild, welches bereits zu osteoporotischen Knochenbrüchen geführt hat – und zwar unabhängig von der jeweils gemessenen Knochendichte. Wenn also bereits osteoporotische Knochenbrüche – vor allem Wirbelbrüche – aufgetreten sind, ist diese Situation in jedem Fall behandlungsbedürftig!
Primäre und sekundäre Osteoporose
Die Einteilung in eine primäre und sekundäre Osteoporose ist aus anderen Gründen wichtig für die Therapie. Häufig ist die genaue Ursache der Osteoporose nicht festzustellen – in diesem Fall sprechen wir von einer primären Osteoporose. Primär ist in der Medizin meistens eine interessant klingende Umschreibung dafür, dass wir die tatsächlichen Ursachen nicht kennen. Da es sich bei der Osteoporose in der Regel um eine sog. multifaktorielle Erkrankung handelt (d.h. es gibt zahlreiche Ursachen, die sich häufig gegenseitig verstärken), kommt der Anamnese (persönliche Krankengeschichte) und dem Vorhandensein von Risikofaktoren eine zentrale Rolle zu. Manchmal sind aber auch andere Grunderkrankungen (chronische Darmerkrankung, Schilddrüsenüberfunktion etc.) oder die Einnahme bestimmter Medikamente (Kortison, Markumar zur Blutverdünnung, Neuroleptika – krampflösende Medikamente – oder zu hoch dosierte Schilddrüsenhormone) die eigentlich auslösende Ursache für den krankhaft erhöhten Knochenabbau.
In diesen Fällen sprechen wir von einer sekundären (auf anderen Ursachen basierenden) Osteoporose. Hier steht natürlich die Behandlung der Grunderkrankung oder die Reduzierung entsprechender Medikamente (falls möglich!) im Vordergrund, da hiermit sogar eine kausale (ursächliche) Behandlung möglich ist. Ist die Grundkrankheit (z.B. chronische Darmkrankheit wie Morbus Crohn oder Colitis Ulzerosa) nicht zu heilen oder eine Reduzierung bzw. ein Absetzen der jeweiligen Medikamente (z.B. Kortison bei Rheuma oder Asthma) nicht möglich, muss die Osteoporose ebenso symptomatisch (wie bei der primären Osteoporose) behandelt werden.